Gesichter der AWO - Dirk Hartmann

Der Geschäftsführer Dirk Hartmann im Interview zu seinem 10-jährigen Dienstjubiläum

Herr Hartmann, Sie sind jetzt seit zehn Jahren Geschäftsführer der AWO Langen. Wurde denn auch ein klein wenig gefeiert?
Nicht wirklich. Meine Vorstände haben mir in der letzten Vorstandssitzung sehr herzlich für mein Engagement gedankt und ich habe mich rückblickend sehr darüber gefreut, dass mein Vorstand und ich in dieser Zeit immer einen freundschaftlichen und vertrauensvollen Umgang miteinander gepflegt haben. Das ist nicht selbstverständlich und ich weiß das sehr zu schätzen.



War es eine gute Entscheidung die Stelle bei der AWO anzutreten?

Absolut. Die AWO vertritt Werte, die ich nicht auswendig lernen musste, sondern die ich aus freien Stücken heraus auch so vertrete. Zudem ergaben sich weitreichende Potentiale in der Entwicklung, die ich dankbar aufgreifen durfte und gemeinsam mit meinem Vorstand und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Erfolg für den Verband entwickelt habe. Das macht nicht nur Spaß, sondern bringt auch den Menschen etwas, die wir mit unseren Angeboten mehr und mehr erreichen.

 

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten zehn Jahren verändert?

Meine Arbeit hat sich massiv verändert. In den Anfangsjahren habe ich ausschließlich für den Ortsverein Langen gearbeitet. Neben der eigentlichen Geschäftsführung habe ich Haunotrufdienste gemacht, bin eingesprungen, wenn Essen ausgefahren werden musste, habe die EDV betreut und die Buchhaltung erledigt – also quasi alles, was so angefallen ist. Der Ortsverein hat sich in seinen Angeboten allerdings stark erweitert und professionalisiert. Aus einer bunten Gruppe Zivis wurde eine große Gruppe Hauptamtlicher und eine kleine Gruppe Bundesfreiwilliger. Die Zahlen im Hausnotruf sind explodiert und auch das Essen auf Rädern erfreut sich weiter wachsender Beliebtheit. So wurden zum Beispiel aus anfänglich 150 Hausnotrufkunden inzwischen fast 600. Die Hilfe im Alltag ist gefragter denn je. Im Langener JUZ sind wir ebenfalls aktiv und über unseren Kreisband engagieren wir uns in Langener Projekten wie Demokratie Leben! und „Miteinander“.

 

Bei der Tätigkeit allein für die AWO Langen ist es dann wohl nicht geblieben?

Nein, inzwischen sind zwei weitere AWO’s hinzugekommen. Vor 7 Jahren durfte ich den seinerzeit schwer kränkelnden AWO Kreisverband Offenbach Land e.V. als Geschäftsführer übernehmen. Keiner hat uns seinerzeit dort mehr etwas zugetraut. Zur Familienbildungsstätte, dem Mobilen Sozialen Hilfsdienst, der Hausaufgabenhilfe und der Migrationsberatung, sind inzwischen zwei Kitas hinzugekommen. Nr. 3 ist übrigens gerade in Langen im Bau. Zudem sind wir in der Flüchtlingsbetreuung aktiv geworden, haben die Migrationsberatung ausgebaut und treiben Projekte wie „Demokratie Leben!“ in Langen und an sechs weiteren Standorten voran. Hinzu kam 2017 noch die AWO Kreis Offenbach gGmbH, die nach und nach die sozialen Dienste bündelt. Inzwischen konnten wir eine mittlere Führungsebene innerhalb der AWO bilden. Die entstandenen vier Fachbereiche werden jeweils von gut qualifizierten Fachbereichsleitungen geführt, betreut und ausgebaut. Damit haben wir in allen nennenswerten Bereichen sehr gute Kompetenzen aufgebaut auf die wir stolz sein dürfen.

 

Wer also heute seinen Hausnotrufknopf drückt, hat keine Chance mehr, Sie zu Gesicht zu bekommen?

Die Chance ist gering. Aber wenn Not am Mann wäre, würde ich natürlich sofort einspringen (lacht).

 

Was ist Ihre größte Herausforderung?

Da gibt es keinen einzelnen Punkt, den ich da aufzählen könnte. Die Arbeit bei der AWO ist jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung. So wachsen zum Beispiel die Anforderungen unserer Kunden an uns stetig. Allerdings nehmen wir diese Herausforderung gerne an und unsere Leistungsfähigkeit wächst dabei mit. Das ist insbesondere unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – haupt- wie ehrenamtlich - zu verdanken, die mit sehr viel Einsatzwillen und einer ausgeprägten sozialen Ader ihren Dienst versehen. Den Spagat aus Kostendruck und einer zuverlässigen Leistung bekommen wir dabei meistens recht gut hin. Die Stadt Langen unterstützt uns dabei sehr gut in unserer Arbeit und gemeinsam tragen wir so zu einem sehr guten Sozialgefüge bei, was die Stadt Langen so lebens- und liebenswert macht. Der gegenseitige Respekt und die große Anerkennung unserer vielfältigen Arbeit sind dabei für uns stets ein großer Ansporn, den wachsenden Anforderungen an uns gerecht zu werden.

 

Die Kreis-AWO arbeitet inzwischen in sehr vielen in Projekten – auch in Langen. Können Sie Beispiele nennen?

In Langen sind wir für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ aktiv und besetzen dafür eine halbe Fach- und Koordinierungsstelle, die ihren Sitz im Rathaus hat. Das Projekt selbst steht für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander. Menschen und Vereine, die zur Zielerreichung des Projektes Projektideen haben, unterstützt unsere Fach- und Koordinierungsstelle von der Planung bis zur Ausführung. Über die vom Bund bereitgestellten Fördergelder entscheidet dabei auf Antrag ein Begleitausschuss, der mit Personen aus Vereinen und der Zivilgesellschaft besetzt ist und seitens der Stadt Langen und der AWO betreut und organisiert wird. Ein Höhepunkt aus diesem Projekt war das Jugendforum im September letzten Jahres in der Langener Stadthalle. 750 Jugendliche haben sich an diesem Tag mit der Demokratie, der Kommunalpolitik, Ihrer Stadt und mit ihren Zukunftsgedanken beschäftigt. Wer das gesehen hat, der konnte nur tief beeindruckt sein und darf hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

Zudem unterstützen wir die Stadt im Projekt „Miteinander“ am Lutherplatz und bringen dort Langener und Flüchtlinge zusammen, koordinieren und unterstützen ehrenamtliches Engagement. Das Programm macht dabei nicht nur seinem Namen „Miteinander“ alle Ehre, sondern trägt auch stark zur Integration bei. Ich finde es gut, dass man in Langen dem Vorurteil, dass oft viel geredet und wenig getan wird, nicht entspricht. 

 

Das hört sich alles gut an. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten?

Leider ja. Die genannten Projekte sind glücklicherweise bisher auskömmlich finanziert und können weitgehend stabil arbeiten. Aber die EU, Bund, Land und Kommunen vergeben in vielen Bereichen immer neue Projekte und Aufgaben mit enorm wichtigen Zielsetzungen. Diese sind dann aber oft zeitlich befristet und stecken in engen Korsetten. Oft werden sogar noch Eigenmittel eingefordert, die wir als AWO nicht erbringen können. Für einige unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet das befristete Arbeitsverträge und für uns die Unsicherheit, das Projekte oft nicht für die gesamte Laufzeit mit dem selben Stelleninhaber, bzw. der selben Stelleninhaberin, besetzt werden können. Das gefährdet manchmal die Kontinuität eines Projektes, die langfristigen Ziele und führt immer wieder dazu, dass wir tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorzeitig verlieren. Diese „Projektitis“ muss einfach weniger werden. Wir brauchen mehr Kontinuität.

Wenn meine Fachbereichsleitungen und ich an neuen Aufgaben und Projekten arbeiten, dann sind hier Fachleute im Einsatz, die nicht von Luft und Liebe leben, sondern eine fachliche Qualifikation haben und einen Beruf ausüben, der bezahlt sein will. Diese Infrastruktur wird vielfach und gerne in Anspruch genommen. Das Verständnis dafür, dass dieser sogenannte Overhead nicht für geschenkt zu haben ist, fehlt dann allerdings manchmal. Und bevor ein neues Vorhaben finanziell tragfähig ist, muss auch oft erst einmal viel Zeit und Geld vorinvestiert werden. Wenn wir dann noch aus der rechten Ecke offen und pauschal als „Wohlfahrtsindustrie“ und „findige Sozialunternehmer“ tituliert werden, macht mich das traurig und ärgerlich zugleich.

 

Was ist Ihre Motivation, diese Projekte trotz der geschilderten Situation zu machen? Geförderte Projekte bringen ja häufig auch viel Bürokratie mit sich.

Weil ich finde, dass zum Beispiel das Projekt „Demokratie Leben!“ bei uns sehr gut aufgehoben ist, denn schon unseren Leitsätzen steht geschrieben:Wir fördern demokratisches und soziales Denken und Handeln. Wir haben gesellschaftliche Visionen“. Bei uns sind solche Leitsätze nicht nur dekorativ an die Wand genagelt. Wir leben und handeln danach. Unsere Leute haben das in ihrer DNA. Und letztlich ist zum Beispiel der Bau eines neuen Kindergartens für uns auch ein Projekt, was dann allerdings auf Langfristigkeit angelegt ist und unseren Zielen nach unbefristeten Arbeitsverhältnissen und einer gewissen Kontinuität gerecht wird.

 

Welche Vision haben Sie?

Ich habe die Vision, dass wir mit unserer Arbeit spürbar zu einem besseren sozialen Miteinander beitragen können. Zudem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir Projekte wie „Demokratie Leben“ irgendwann nicht mehr brauchen werden. Aber keine Sorge, ich bin Realist und weiß, dass hier noch viel zu tun ist.

 

Was wünschen Sie sich für die AWO?

Ich wünsche mir, dass wir weiterhin in der Lage sein werden, mit unseren Angeboten den Menschen dienlich zu sein und wir uns weiterhin dessen bewusst sind, dass es nur miteinander geht und nicht gegeneinander. Außerdem wünsche ich mir, dass es uns weiterhin so gut gelingt, die AWO in stabilem Fahrwasser zu halten. Das ist nicht nur für uns, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig, sondern vor allem für die Menschen, die auf unsere Angebote bauen. 

 

 

Das Interview führte Tim Kath, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Stadt und Kreis Offenbach.